Bezaubernd: die Pfefferkuchenhäuser auf Martha’s Vineyard

Diese Ansammlung an bunten Häuschen wirkt ein bisschen aus der Zeit gefallen. Abseits der Hotelkomplexe und großspurigen Villen kuschelt sich die Gruppe kleiner, bunter Sommerrefugien aneinander, kreisförmig angeordnet um einen kleinen Park mit einer gelben Holzkirche und dem Tabernakel. Der Eindruck trügt nicht: Die Cottages, die  die Martha’s Vineyard Camp Meeting Association bilden, sind zum Großteil seit Generationen in Familienbesitz. Die meisten der 312 Häuschen sind nur in den Sommermonaten bewohnt – nur ein paar wenige sind so ausgestattet, dass sie auch die feucht-kalten Wintermonate auf der Insel erträglich machen. Genau 40 Bewohnerinnen und Bewohner trotzen dem Wind und Wetter der Küste Massachusetts.

Die Anfänge des bunten Idylls liegen in der Camp-Meeting-Bewegung – einer religiösen Erweckungsbewegung, die im 19. Jahrhundert vor allem in den USA stattfand. 1835 erwarben der Methodist Jeremiah Pease aus Edgartown eine Schafweide auf der Nordseite der Insel für eine religiösen Versammlungen – ein halbes Acre Land im Eichenhain, Wesleyan Grove genannt. In diesem Sommer wurden neun Zelte auf der Fläche im heutigen Oak Bluffs errichtet; die Zusammenkunft war erfolgreich und etablierte sich. Viele Familien blieben länger als die eine Versammlungswoche, fest Plattformen wurden gebaut, auf denen die Familien im kommenden Jahr erneut ihr Zelt stellten; es wurde ein großes Versammlungszelt erreichtet, ein Bürogebäude entstand. Nach und nach wurden die Segeltuchwände der Zelte durch etwas stabileres Holz ersetzt und aus der Zeltstadt wurde eine Ansammlung hölzerner Häuschen. 1914 waren die Zeltplanen endgültig Geschichte.

1860 wurde die Martha’s Vineyard Camp Association gegründet und Regeln aufgestellt. Wer einen Platz für eine Hütte (oder damals noch: für einen Zeltplatz) bekommen wollte, musste den Grund und Boden von der Association leasen und drei Empfehlungsschreiben von Gemeindegliedern oder Geistlichen vorlegen.

Kirche und Tabelnakel stehen seit 1878 beziehungsweise 1879 in der Mitte des Geländes. Das Tabelnakel mit seiner gusseisernen, offenen und filigran wirkenden Struktur hat die Zeit unbeschadet überlebt – Stahl ist weniger anfällig für die feuchte, salzhaltige Atlantikluft. An den berühmten „Gingerbread Cottages“, oft im Carpenter Gothic Stil, mit spitzen Giebeln, verzierten Veranden und filigranen Holzelementen, muss weitaus öfter Hand angelegt werden.

Wie liebevoll, detailreich und einmalig viele dieser Details sind, entdecken Besucher erst bei genauem Hinsehen: Hier versteckt sich ein Hund, dort ein Hase und ein Fuchs in den filigranen Holzelementen. Gotische wechseln sich mit romanische Fensterrahmen ab; die Ornamente unterm Dachgesims sind den Fransen der damaligen Zelte nachempfunden. Dass die Dachgiebel spitz zulaufen müssen, ist ebenfalls auf die Zeit der Zelte zurückzuführen – sie sollen an die an die ehemals hier stehenden Zeltstadt erinnern.

Einige Cottages tragen Namen – wie „La docle vita“ von J. W. Hoyt, einem Stahlmagnaten aus Springfield, MA, der für den Bau des Tabernakel verantwortlich zeichnet, oder „Tall Timber“ von William Newell, Hersteller von Messingarmaturen und Betreiber einer Gießerei in Central Falls, RI.

An vielen Häusern sieht man die architektonische und technische Entwicklung der Jahrhunderte. So haben einige Häuser Anbauten und Erweiterungen, in denen beispielsweise Toiletten oder Küchen entstanden sind. Die Regeln geben vor, wie das Äußere der Häuschen auszusehen hat – die Farben darf jeder Eigentümer selbst wählen.

1978 wurde das Gelände mit seinen Gebäuden in das National Register of Historic Places aufgenommen, und 2005 erfolgte die Ernennung zum National Historic Landmark.

Die meisten Häuser sind farbig gestrichen – pastellfarbene Hauswände mit knalligen Hervorhebungen und weißen Verzierungen, die den Häusern den Spitznamen Pfefferkuchenhäusern (Gingerbread Houses) eingebracht haben. Wer genaueres wissen möchte – etwa, in welchem Haus Präsident Ulysses Grant 1874 übernachtet hat – sollte sind geführte Tour buchen. Edie Lowe etwa zeigt ihren Gästen sogar ihr Haus, das am Rande der Siedlung steht und ebenfalls seit Jahren im Familienbesitz ist.

Heute ist die MVCMA mehr als ein religiöses Sommerrefugium: ein lebendiges Museum alter amerikanischer Kultur, Architektur und Gemeinschaft. 

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